Auf meinem Schreibtisch steht seit ein paar Tagen ein kleiner Hund. Ein gehäkelter Jack Russel Terrier. Er trägt das Geschirr eines Minensuchhundes mit den Nationalfarben der Ukraine. Ich habe ihn bei meinem Besuch in der Ukraine geschenkt bekommen. Er ist dem echten Jack Russel Terrier nachempfunden, der im vergangenen Jahr von Präsident Selenskyj ausgezeichnet worden ist. „Patron“, so heißt er, hat mehr als 200 Minen aufgespürt. Nun tröstet er als Stofftier viele Kinder in der Ukraine.
Ganz besonders Kinder brauchen Tröster. Sie brauchen Hoffnungsbilder im Angesicht des Unheils. Doch nicht nur sie. Seit Monaten erleben wir, wie sehr der Mensch ein trostbedürftiges Wesen ist. Wir hoffen und fragen: Wann ist der Krieg in der Ukraine zu Ende? Wann können wir endlich wieder durchatmen? Wann können wir uns ganz einfach freuen am Frühling, am Kinderlachen, am Sonnenschein, ohne dass diese Freude fortwährend überschattet wird von großen, beschwerlichen Ereignissen? Selten waren wir selbst so unmittelbar betroffen. Wir merken, wie unsere Gewissheiten brüchig werden. Wir retten uns in einen Alltag, der fast absurd normal verläuft. Wir finden keine Antworten auf die großen Fragen.
Und mitten in diesem Fragen und Sehnen wird es wieder Ostern. Wir hören vom Neuanfang, von der Auferstehung. „Er ist der Anfang, der Erstgeborene von den Toten, auf dass er in allem der Erste sei. Denn es hat Gott gefallen, alle Fülle in ihm wohnen zu lassen und durch ihn alles zu versöhnen zu ihm hin, es sei auf Erden oder im Himmel, indem er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz. (Kol 1, 18-20)
An Ostern geht es um eine Hoffnung, die erstmalig bestätigt wird in Jesus Christus. Dort wird der Grund gelegt für die Zukunft der Schöpfung und das Leben des Menschen in Frieden. Die Auferstehung Jesu macht den Anfang, um dem enttäuschenden Handeln dieser Welt eine andere Perspektive zu geben. Ostern bringen wir nicht nur ein fernes historisches Ereignis oder einen geistlichen Durchbruch zur Sprache. Ostern ruft die Einsicht wach, dass Jesu Tod und seine Auferstehung wieder und wieder Gestalt zu geben ist in einer Welt, die der Erlösung bedarf.
So sind wir auf dem Weg, von Trost und Hoffnung zu erzählen. Das ist unsere Aufgabe. Eine schwere Aufgabe, weil sie der Realität oftmals widerspricht. Bei meinem Besuch in Odessa vor zwei Wochen traf ich eine Kirchenvorsteherin einer kleinen lutherischen Gemeinde, die aus einem Dorf, direkt an der Front, mit Kindern geflohen war. Sie erzählte von der fortwährenden Bedrohung in der neunmonatigen Besetzung des Dorfes durch russische Soldaten, dem Artilleriebeschuss und den Erniedrigungen. Nach der Befreiung dieses Dorfes wolle sie nun zurückkehren. In diesen Tagen müssen die Kartoffeln gepflanzt werden und ein Zeichen gesetzt, damit auch andere Dorfbewohner zurückkehren könnten. Am Ende schenkte sie mir, gemeinsam mit den Kindern aus dem Dorf, den kleinen Stoffhund. „Erzählen Sie von unserer Situation. Aber erzählen Sie auch von unserer Hoffnung.“
Gesegnete Ostern!
Ihr Landesbischof Ralf Meister